Das Wort zum Sonntag – 5. Fastensonntag

Liebe Pfarrgemeinde!

Das Evangelium des 5. Fastensonntags offenbart viele hintergründige Gedanken. Da sind zunächst die Pharisäer und Schriftgelehrten, die wieder einmal etwas überlegt haben, um sich des unbequemen Jesus zu entledigen. Für ihre hinterlistigen Absichten benutzen sie eine Frau. Ihr Schicksal ist ihnen jedoch egal, es geht ihnen nicht darum, Recht zu sprechen, sondern Jesus in die Falle zu locken.

Die Frau wird dadurch ein weiteres Mal zum Objekt abgewertet - zunächst der Begierde, dann der Beschuldigung. Wenn es nach den selbstgerechten Hütern von Anstand und Sitte ginge, würde man das Leben der Frau opfern, ohne mit der Wimper zu zucken. Niemand würde sich Gedanken darüber machen, wie es zu dem angeblichen Ehebruch kam und was vorausging. Auch Jesus scheint sich, entgegen seiner Gewohnheit und auch unserer Erwartung, nicht um die Frau zu kümmern. Er geht nicht auf sie zu.

Er ignoriert die vor Angst zitternde Beschuldigte und die hinterlistigen Ankläger. Er schreibt auf die Erde, malt in den Sand wie ein kleines Kind am Strand.

Was mag Jesus da wohl geschrieben haben? Hat er das sechste Gebot notiert: „Du sollst nicht ehebrechen“? Oder das achte Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten“? Oder hat er einen Besen gemalt und dazugeschrieben: „Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür“?

Vielleicht wollte er auch nur ein wenig Zeit gewinnen und sich und allen Beteiligten Gelegenheit geben, nachzudenken.

Oder ging es Jesus um die Geste, die allein schon für sich aussagekräftig ist? In den Sand schreiben, was heißt das? Der nächste Wind wird das hineingeschriebene Wort oder Bild wieder auflösen, wegwischen, ausradieren.

Doch dann richtet sich Jesus auf, er richtet seinen Blick in die Runde der Männer, die ihn erwartungsvoll anstarren. Jesus richtet jedoch die Aufmerksamkeit der Männer weg von ihrem verängstigten Opfer. Er spricht sie so an, dass jeder sich selber anschauen muss. Es ist, als würden sie gezwungen, die Fotofunktion ihrer sensationslüstern gezückten Smart-phones umzuschalten und ein Selfie (ein Selbstporträt) zu machen, das ihr eigenes Inneres preisgibt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie.“

Sonst nichts. Keine Ansprache, kein Verhör, keine Erklärung, kein Appell, keine Zitate aus dem Alten Testament. Das ist alles nicht nötig. Es ist bereits in dem einen Satz enthalten.

Die Männer mit einem spitzen Stein in der Hand halten inne und ziehen sich kleinlaut zurück. Der Stein, den sie schon erhoben hatten, wird zum Stein des Anstoßes für eine Gewissenserforschung und Selbsterkenntnis.

Der Satz Jesu bringt mehrere Steine ins Rollen. Die für die Hinrichtung der Ehebrecherin aufgehobenen Steine plumpsen zu Boden und rollen bergab in den Abgrund. Es ist dieser Abgrund, der sich immer auftut, wenn Menschen über andere herziehen, Böses beabsichtigen und Hinterlist im Spiel ist.

Der Frau fällt ein Stein vom Herzen, als sie bemerkt, dass sie mit dem Leben davonkommt. Die Menschen, die bereits Rufmord an ihr verübt haben und ihre Hinrichtung vorbereitet hatten, verschwinden von der Bildfläche. Und dann ist nur noch Jesus da. Er nimmt den letzten, den schwersten Stein von ihrer Seele:

„Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Sie geht, leichten Herzens, ihr Fuß stößt an keinen Stein, sie ist beschützt und begleitet von diesem Wort Jesu. Auch wir dürfen uns immer wieder neu mit dieser Leichtigkeit, dieser Erleichterung auf den Weg machen.

Seinen Satz, der uns allen gilt, nehmen wir mit, er ist uns ins Herz geschrieben: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein.“

Ein entwaffnender Satz. Wir wollen ihn beherzigen!

Sepp Krasser